Wieder inklusives Feriencamp in Dolgen für Kinder mit und ohne Handicap

Wieder inklusives Feriencamp in Dolgen für Kinder mit und ohne Handicap
Jussuf Arslan trainiert mit den Kinder die Selbstbehauptung - Foto: JPH/Archiv

In Dolgen findet auch in diesem Jahr wieder ein einzigartiges Inklusionsprojekt statt: Rund 70 Kinder mit und ohne Handicap entdecken in einem dreiwöchigen Feriencamp der hannoverschen Sozialgenossenschaft „Aktiv DabeiSein“ gemeinsam Normalität und bauen dabei ganz selbstverständlich Berührungsängste ab.

Seit dem 25. Juli erleben rund 70 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 16 Jahren mit und ohne Behinderung in einem Feriencamp zusammen tagsüber ein buntes Ferienprogramm. Bei gemeinsamen Aktionen, Ausflügen und Spielen erfahren sie ein soziales Miteinander und guten Zusammenhalt und lernen sich mit all ihren Unterschiedlichkeiten kennen. Und dieses Ferienprojekt der hannoverschen Sozialgenossenschaft hat Vorbildcharakter. Vergleichbare Aktionen sind in Niedersachsen bisher nicht gelaufen, so dass die Organisatoren hierfür auch Fördermittel des Kultusministeriums für das sogenannte Programm „Lernräume“ erhalten haben.

Echte Inklusion

Es ist das mittlerweile fünfte inklusive Feriencamp, welches Hannovers gemeinnützige Genossenschaft „Aktiv DabeiSein eG“ auf die Beine gestellt hat – und das zweite auf dem Gelände des Sportzentrums in Dolgen (SN berichtete). Die Bezeichnung „inklusives Feriencamp“ mache ihrem Namen dabei alle Ehre, denn echte Inklusion sei in der Ferienbetreuung in Deutschland immer noch eine Ausnahme, betont Friedrich-Wilhelm Haarstrich, Vorstandsvorsitzender der Sozialgenossenschaft. „Es gibt immer mal wieder Camps, in denen ein oder zwei Teilnehmer ein Handicap haben, aber bei uns gibt es keine Quotenbehinderten – bei uns hat die Hälfte der Teilnehmer ein Handicap.“

Haarstrich ist Mitbegründer der Sozialgenossenschaft und in diesem Jahr von der Region Hannover für sein ehrenamtliches Engagement ausgezeichnet worden. Er bezeichnet das Feriencamp daher als Erfolgsmodell, das bei Kindern wie Eltern zu sehr positiven Rückmeldungen führe.  Die Problemstellung: Gerade Kinder und Jugendliche mit nachhaltigem Förderbedarf – unabhängig von einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung – leiden massiv unter den Gegebenheiten der nun schon mehr als zwei Jahre andauernden Corona-Pandemie. Aktuelle Studien belegen laut Haarstrich, dass dies in besonderem Maße für Kinder aus sozial benachteiligten Milieus gilt.

Hinzu kommt, dass bei Feriencamps insbesondere für Kinder und Jugendliche mit Unterstützungs- und Förderbedarf zusätzliche Kosten für deren Assistenz und Begleitung entstehen, die sich Eltern dieser Kinder oft nicht leisten können. Gleichzeitig fehlt es in den Haushalten berufstätiger Eltern an entsprechender Urlaubs- oder Freizeit, um die Kinder in den Ferienwochen zu betreuen.

Entlastung der Eltern in den Ferien

Vorstandsmitglied Friedrcih-Wilhelm Haarstrich bei der Eröffnung des Camps 2019 in Dolgen - Foto: JPH/Archiv
Vorstandsmitglied Friedrcih-Wilhelm Haarstrich bei der Eröffnung des Camps in Dolgen – Foto: JPH/Archiv

Die Organisation der kompletten Sommerferien stellt die Eltern öfter vor unlösbare Probleme. Die Kinder haben sowohl körperliche als auch geistige und emotionale Einschränkungen und werden in Gruppen – je nach Alter und Interessenlage – betreut. Auf Wunsch können die Eltern einen Fahrdienst nutzen, der den Nachwuchs von zu Hause abholt und am Ende des Tages auch wieder dort absetzt. Besonders ist das Feriencamp aber auch deshalb für die Eltern der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen, weil sie im Vorfeld keinen eigenen Betreuer als Begleitung für das Feriencamp verpflichten müssen.

Stattdessen steht ihnen in Dolgen pädagogisches Fachpersonal zur Verfügung. „Auch das ist rundum die Feriencamps in und um Hannover einzigartig“, hebt Haarstrich hervor. Die Betreuung erfolgt aufgrund des inklusiven Ansatzes mit einem 1:3 Betreuungsschlüssel sowie in bis zu vier Einzelfällen je nach Bedarf auch in 1:1 Betreuung bei schwerstbehinderten Kindern.

Corona-Pause aufarbeiten

Ziel ist es, im Laufe der vergangenen zwei Jahre entstandene Entwicklungsrückstände individuell und in Gemeinschaft aufzuholen und, wenn möglich, zu kompensieren. Die im Laufe der Corona-Pandemie entstandenen Defizite im sozialen Miteinander des Schulalltags sollen ausgeglichen werden mit Ferienaktionen, bei denen die Kinder wieder ein Stück Normalität erleben können. „Wir möchten im spielerischen und gemeinschaftlichen Erleben unter sozialpädagogischer Anleitung ein Rüstzeug bieten, das die aufgrund der Pandemie entstandenen persönlichen Einschränkungen aufarbeitet und ausgleicht“, erläutert Haarstrich. „Unser Angebot verfolgt den Zweck, Kinder und Jugendliche alters- und entwicklungsgerecht aufzufangen, aufzurichten und hinsichtlich der Herausforderungen des Lebens und Lernens in Krisensituationen zu stärken.“

Angebot im Camp

Vor Ort in Dolgen dreht sich derzeit alles um sozial-emotionale Kompetenz und Gemeinschaft, Gesundheit und Fitness sowie Selbst- und Mitbestimmung. Daraus hat das Betreuerteam ein Programm-Angebot mit folgenden Schwerpunkten entwickelt:

  • „Ich bin ich und kann was“: Selbstbehauptung & Körperwahrnehmung
  • „Ich erlebe meine Umwelt“: Erlebnis Pferd, Natur, Bauernhof
  • „Ich und Du“: Gemeinsam basteln, malen, gestalten
  • „Ich bin kreativ“: Musik erleben und Musik machen
  • „Ich pass auf“: Branderziehung und Feuerwehraktionen

Hinzu kommen Themen wie Entspannung, Sport, Freispiel, Wahrnehmen und Erholung. Weiterhin gibt es ein Mittagessen, das von einem örtlichen Gastronom täglich frisch gekocht wird. Gemeinsame Mahlzeiten und strukturierte Abläufe sowie wiederkehrende Rituale geben den Kindern einen verlässlichen Rahmen.

Das Ferienprojektes findet in einem „geschützten Raum“ statt, was bedeutet dörfliche, überschaubare Umgebung und aktives naturnahes sowie stressreduzierendes Erleben. Von der Stadt Sehnde werden geeignete Räume und sanitäre Einrichtungen kostenfrei zur Verfügung gestellt. Dazu gehören ein Jugendtreff, zwei Kindergartenräume, sowie eine Sporthalle und Außenanlagen. Außerdem stellt die Feuerwehr ein Zelt und eine Hüpfburg zur Verfügung.

Dolgen als hervorragender Gastgeber

Das Dörfchen Dolgen avanciert dabei zum inklusiven Ferientreff par excellence. Alle Einwohner berücksichtigen oder unterstützen das Projekt im Rahmen ihrer Möglichkeiten, indem sie beispielweise besondere Vorsicht auf den Straßen walten lassen, sie ihren Stall oder Hof ganz selbstverständlich für das Projekt öffnen, praktische Hilfen anbieten – und akzeptieren, dass Kinder auch mal laut sind. Die Rückmeldungen von Kindern und ihren Eltern sind bisher wieder ausgesprochen positiv und es gibt sehr viele Anfragen, ob dieses Modell auch in den Folgejahren fortgeführt wird.

(Teil 1)

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