Terroristen im Hauptbahnhof Hannover: Großübung der Polizei
Schüsse, Handgranatendetonationen und Kofferbombenexplosionen im Hauptbahnhof Hannover und auf einigen Bahnsteigen – verletzte Personen, mehr oder minder schwer. Durchsagen mit dem Aufruf, keine Panik zu bekommen. Wer Dienstagabend ab 22 Uhr den Hauptbahnhof besuchte oder dort bis etwa 4.30 Uhr ankam, wurde mit diesen Szenarien empfangen.
Doch es war Kunstblut, das dort floss, Manöverpatronen, die knallten, und Übungshandgranaten, die explodierten. Die „Verletzten“ waren Darsteller, geschminkt von der Bundeswehr in Langenhagen, und die Durchsagen dienten dem Hinweis an die Reisenden, dass hier die Bundespolizei, die Polizeidirektion Hannover, das Landeskriminalamt, die Feuerwehr und der Rettungsdienst Hannover gemeinsam die Terrorabwehr und das Managen von Großschadenslagen nach Angriffen übten. 700 Einsatzkräfte waren involviert. Mit dabei war auch die Bundesbahn und die Metronom, die auf den Bahnsteigen „Übungszüge“ stellten. Hier wurde das Vorgehen gegen terroristische Täter sowie die Rettung und Versorgung Verletzter im Zusammenspiel der zahlreichen Akteure in einer komplexen und lebensbedrohlichen Einsatzlage unter realistischen Bedingungen trainiert – für die regulären Streifen- und Einsatzpolizisten, nicht für Spezialkräfte. Denn der Streifendienst ist es, der immer als erster an den Einsatzort kommt, auch bei solchen Extremlagen. Das bestätigte Bundespolizeidirektor Dr. Martin Kuhlmann, der gemeinsam mit dem hannoverschen Polizeipräsidenten Volker Kluwe und dem Stadtbrandmeister Claus Lange die Übung leitete.
Die heutige Sicherheitslage habe sich grundlegend geändert. Während früher die Polizei bemüht war, den Einsatzort bei einer solchen Bedrohungslage zunächst weiträumig abzusperren, mit den Tätern zu verhandeln und der Waffeneinsatz die Ultima Ratio war, hat sich das Bedrohungspotential grundsätzlich verändert. Terroristen heutzutage wollen maximalen Schaden anrichten, viele Menschen töten – und das ohne Rücksicht auf das eigene Leben. Abwarten geht dabei nicht mehr. Die Streifenbeamten, die am Einsatzort eintreffen, müssen handeln – eigenverantwortlich, umsichtig und doch konsequent. Abwarten spielt den Tätern in die Hände – so die Aussagen der Übungsleitenden gestern Abend im Bahnhof.
„Bei den heutigen Einsätzen geht es meistens um Sekunden“, so Bundespolizeidirektor Peter Jördening einleitend. „Wir müssen polizeiliche Tugenden wieder hervorholen, die seit dem Wegfall des Eisernen Vorhangs nicht mehr benötigt wurden.“ Dazu gehören unter anderem eine mentale Stärke bei den Beamten, Reaktionsschnelligkeit und die Fähigkeit, einheits- und tätigkeitsübergreifend zusammenzuarbeiten.
In verschiedenen „Bildern“, also Situationen, mussten sich die übenden Beamten direkt entscheiden, was zu unternehmen ist, wenn sie am Einsatzort eintreffen. Geiseln befreien, Angreifer abwehren, Verletzte bergen und Bürger schützen – jedes Bild war anders. Ausgewertet wurden die Aktionen durch eine Schar von „Schiedsrichtern“, die die Einsatzkräfte begleiteten, ihr Handeln bewerteten und danach die Manöverkritik vornahmen. Dabei ging es nicht unbedingt um falsch oder richtig, sondern um zweckmäßig oder nicht. Auch die Polizeiakademie war anwesend, um die eigenen Einsatzgrundsätze zu prüfen und Lehren zu ziehen, dort wo es nötig ist.
Die Bundespolizeiakademie hat bundesweit Übungen dieser Art vorbereitet. Vergleichbare Trainings fanden bereits an Bahnhöfen in Berlin, Leipzig, Frankfurt am Main, Lübeck und München statt. Und nun in Hannover. Die Vorbereitung einer solchen Übung dauert den Angaben zufolge rund ein drei Monate, die Ausführung dann wenige Stunden. „Man hat nicht immer die Möglichkeit, in einem realistischen Umfeld zu über“, so Polizeipräsident Kluwe. „Deshalb sind wir für die Gelegenheit heute dankbar.“ Durch die nächtliche Übungszeit sollten die Auswirkungen auf Unbeteiligte möglichst gering gehalten werden. In der Zeit von etwa 22 bis 5 Uhr wurden zudem Teile des Hauptbahnhofes sowie des Personentunnels mit Sichtschutzzäunen für die Öffentlichkeit gesperrt. Züge und S-Bahnen fuhren teilweise auf anderen Gleisen ein – darüber informierten Mitarbeiter der Deutschen Bahn vor Ort. Vor dem Bahnhof übte dann noch gegen 1 Uhr die Feuerwehr Hannover das Übernehmen und Versorgen von Verletzten in großer Anzahl.
Die Reisenden, die um diese Zeit den Bahnhof nutzten, waren aber eher interessiert und neugierig, als verstört und besorgt. Sie hatten offensichtlich schnell erkannt, dass das, was zur Einschränkung am und im Hauptbahnhof führte, allein ihrer Sicherheit diente. Denn nur gut ausgebildete Sicherheitskräfte sind in der Lage, den heutigen Bedrohungen zu begegnen und den Bürger zu schützen. So haben die hannoverschen Streifenwagen auch schusssichere Westen für Langwaffen dabei und ballistische Helme seien in der Beschaffung, so Polizeipräsident Kluwe auf Nachfrage. Damit können die ersten Kräfte dann bestmöglich geschützt und ausgebildet direkt eingreifen – wenn es denn mal dazu käme.
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