Änderung NKomVG: Beratung unnötig?
Mit dem seit 18.07.2020 geltenden und neu in das Niedersächsische Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG) eingeführten Paragraphen 182 hat der Landesgesetzgeber eine Sonderregelung ausschließlich zur Bewältigung epidemischer Lagen geschaffen. Anlass zur Änderung war die Corona-Pandemie des Frühjahres. Danach könnten dann die politischen Gremien von den Ortsräten bis zum Stadtrat ihren Einfluss und ihre Mitwirkung im Entscheidungsprozess in der Kommune an den Verwaltungsausschuss abtreten oder verlieren. Da dieses Gremien jedoch unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagt, sind die dadurch entstehenden Befugnisse und Entscheidungen zunächst nur durch wenige Politiker zu kontrollieren – durch die Öffentlichkeit gar nicht.
Entscheidungsfindung wird verkürzt – Ansteckung verringert
Die städtischen Gremien werden dazu auf den Verwaltungsausschuss mit möglicher Erweiterung reduziert. So
- kann die Vertretung auf Vorschlag der Hauptverwaltungsbeamtin oder des Hauptverwaltungsbeamten [der Bürgermeister] über bestimmte Angelegenheiten im Umlaufverfahren beschließen, wenn sich vier Fünftel der Mitglieder der Vertretung damit einverstanden erklärt haben,
- kann die Vertretung beschließen, dass der Hauptausschuss [der Verwaltungsausschuss] längstens für die Dauer der festgestellten epidemischen Lage über bestimmte Angelegenheiten anstelle der Vertretung [des Stadtrates] beschließt,
- kann die Hauptverwaltung im Benehmen mit der oder dem Vorsitzenden der Vertretung in der Ladung anordnen, dass alle oder einzelne Abgeordnete per Videokonferenztechnik an der Sitzung der Vertretung teilnehmen können, soweit dies technisch möglich ist; dies gilt für Sitzungen des Hauptausschusses und der beratenden Ausschüsse entsprechend mit der Maßgabe, dass die oder der Vorsitzende die Anordnung trifft,
- kann die Entscheidung nach § 46 Abs. 4 Satz 1 abweichend von § 46 Abs. 4 Satz 2 [Zahl der für die nächste allgemeine Wahlperiode zu wählenden Abgeordneten] bis spätestens 12 Monate [sonst 18 Monate] vor dem Ende der laufenden Wahlperiode getroffen werden,
- kann die Hauptverwaltungsbeamtin oder der Hauptverwaltungsbeamte bei der Vorbereitung von Beschlüssen des Hauptausschusses auf die Beteiligung der beratenden Ausschüsse verzichten, wenn der Hauptausschuss nichts anderes bestimmt,
- ist die Hauptverwaltung nicht verpflichtet, einem Verlangen auf Einberufung der Vertretung nach § 59 Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 [unverzüglich einzuberufen] zu entsprechen,
- kann in den von § 94 erfassten Angelegenheiten anstelle des Ortsrates die Ortsbürgermeisterin oder der Ortsbürgermeister und anstelle des Stadtbezirksrats die Bezirksbürgermeisterin oder der Bezirksbürgermeister angehört werden [sonst der Ortsrat].
Anordnung kommt vom Bund oder Land
Danach können die Regelungen des § 182 NKomVG (Sonderrregelung für epidemische Lagen) zur Anwendung kommen, wenn und solange eine epidemische Lage von nationaler Tragweite gemäß Infektionsschutzgesetz oder eine epidemische Lage von landesweiter Tragweite nach dem Niedersächsischen Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst festgestellt ist.
Die Feststellung und Aufhebung einer nationalen epidemischen Lage erfolgt durch den Deutschen Bundestag oder für landesweite epidemische Lagen durch den Niedersächsischen Landtag auf Antrag der Landesregierung.
Die Sonderregelung für epidemische Lagen soll einerseits der Eindämmung und der Verhinderung einer weiteren Verbreitung des Infektionsgeschehens Rechnung tragen und andererseits die Funktions- und Handlungsfähigkeit der kommunalen Entscheidungsgremien aufrechterhalten und sicherstellen. Im Einzelnen wird geregelt, dass anstelle des Rates der Verwaltungsausschuss über bestimmte Angelegenheiten beschließen kann. Es wird die Möglichkeit von Umlaufbeschlüssen des Rates und für Videokonferenzen sowie Ausnahmen von Präsenzsitzungen geschaffen.
Die im Beschlussvorschlag benannten Maßnahmen dienen der Eindämmung des Infektionsgeschehens insbesondere dadurch, dass persönliche Kontakte auf ein Mindestmaß und möglichst wenige Personen beschränkt werden. Durch die Möglichkeit der Delegation von Beschlussfassungen auf den Verwaltungsausschuss und der Durchführung von Umlaufbeschlüssen wird die Anzahl und Dauer der noch erforderlichen Präsenzsitzungen zudem verringert.
Verwaltungsausschuss tagt geheim
Da der Verwaltungsausschuss geheim tagt, wird dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Sitzungen nur Rechnung getragen, indem die auf den Verwaltungsausschuss delegierten oder im Umlaufverfahren gefassten Beschlüsse sowie das Sitzungsprotokoll unverzüglich veröffentlicht werden. Und das nur, soweit nicht im Einzelfall aus Gründen des „öffentlichen Interesses“ oder zur „Wahrung berechtigter Interessen Einzelner“ die Öffentlichkeit auszuschließen ist. Damit wird der Einfluss und die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen durch die Öffentlichkeit deutlich eingeschränkt. Ob das wegen der angestrebten – nachvollziehbaren – Einschränkung von Ansteckungsgefahren aus Sicht der Öffentlichkeit angemessen ist, müsste mindestens öffentlich diskutiert werden.
Warum nun die Eile?
Es erklärt sich dagegen nicht, weshalb die seit Juli existierende Änderung zum NKomVG plötzlich in einer derart verkürzten Form – vom Verwaltungsausschuss direkt in den Stadtrat – beschlossen werden muss. Jeder Antrag einer Fraktion zur Bepflanzung einer Wiese wird dagegen in Ausschüssen beraten, diskutiert und bewertet vom Mineralgemisch für den Weg bis zu Giesfrequenz – mit der zugelassenen Öffentlichkeit im Zuhörerraum. Eine derart weitreichende Einschränkung des Mitwirkungsprozesses von Stadtrat und Öffentlichkeit – sei sie auch noch so sinnvoll – dagegen wird nicht nur hinter der verschlossenen Tür des Verwaltungsausschusses diskutiert, sondern dann auch direkt dem Stadtrat zur Entscheidung vorgelegt. Zwar können der Sehnder Stadtrat und die Stadtverwaltung das NKomVG nicht ignorieren oder ändern, aber die Einzelmaßnahmen sollten wenigstens diskutiert, erläutert und in eine für Sehnde sinnvolle und nachvollziehbare Lösung gefasst werden. Öffentlich!
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